Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens haben das Herz am rechten Fleck. Existenzsichernd ist diese Umverteilung aber kaum finanzierbar. Das Konzept stützt zudem darauf ab, dass Freiwilligenarbeit eine höhere Art der Beschäftigung sei – eine Sichtweise, die der zentralen Rolle von Geld und (Arbeits-)Preisen nicht gerecht wird. Unabhängig vom gewünschten Grad der sozialen Umverteilung lässt sich das Konzept aber auch sonst kaum mit einer gängigen Gerechtigkeitsvorstellung vereinbaren.
Kurzfassung des Textes erschienen im Vorwärts – Debatte Grundeinkommen – Utopie oder Zukunftskonzept?, 18 April 2016.
Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen (BGE), über welches die Schweizer Bevölkerung im Juni dieses Jahres abstimmt, wollen die Initianten die Menschen vom Zwang bezahlter Arbeit befreien. Jedem Bürger solle genügend Einkommen garantiert sein, um ein würdiges Leben zu finanzieren. Angesichts der materiellen Zwänge, denen wir ausgesetzt sind, ist der Ruf nach einer Befreiung nicht verwunderlich – und das enorme Wirtschaftswachstum im letzten Jahrhundert schiene die Möglichkeit der Befreiung auf den ersten Blick auch nahezulegen. Mit-Initiator Daniel Straub bringt es auf den Punkt: “Wir haben es zu einer unglaublichen Produktivität gebracht, sind aber nicht in der Lage, diesen Erfolg in ein gutes Leben umzuwandeln.“ Die Initianten betonen, dass viele ‚befreite‘ Personen sich nicht einfach faul zurücklehnen, sondern selbständig sinnvolle Tätigkeiten auszuüben suchten. Auch wenn die Initianten hier Recht haben, bleibt das Konzept Grundeinkommen (sogar) in der Schweiz kaum finanzierbar und in verschiedener Hinsicht problematisch.
Kaum finanzierbar
Die finanziellen Probleme werden offensichtlich, wenn man die von Initianten vorgeschlagenen Zahlen betrachtet. Erwachsene sollen monatlich 2500 CHF (2300 Euro, kaufkraftbereinigt etwa 1600 Euro), Kinder 625 CHF bekommen. Dies sind vernünftige Beträge, denn das Grundeinkommen soll nicht nur ein Dahinfristen, sondern ein vernünftiges Leben ermöglichen. Über die Gesamtbevölkerung aufgerechnet bedeutet das einen Aufwand von etwa 200 Mrd. CHF pro Jahr. Durch das Grundeinkommen erübrigt sich zwar ein Grossteil der Sozialausgaben. Polizei, Strassen, Schulen, Staatsverwaltung etc. müssen aber weiterhin bezahlt werden, mit Gesamtkosten von etwa 140 Mrd. CHF. Der Staatsaufwand inklusive Grundeinkommen beläuft sich somit auf 340 Mrd. CHF, denen 505 Mrd. CHF Nettonationaleinkommen als maximal verfügbares Steuersubstrat gegenüberstehen.[1] Dies bedingt einen Steuersatz von durchschnittlich fast 70%, erhoben direkt auf Einkommen, oder auch indirekt z. B. durch Mehrwertsteuern. Die Probleme mit einem solch hohen Steuersatz können wohl kaum überschätzt werden: wo immer möglich, wird von Gross und Klein versucht bei einer Arbeit der Steuer auszuweichen. Gut bezahlte Jobs und Arbeiter werden nicht mehr vom Ausland in die Schweiz, sondern gerade umgekehrt vom Inland ins Ausland verlegt. Ein explizites Ziel dürften die Initianten damit kurzfristig sicherlich erreichen: Da der Staat ein annehmliches Einkommen verteilt, aber vom eigenen Verdienst mehr als ⅔ wegnimmt, werden viele Leute tatsächlich auf unbezahlte Tätigkeiten umstellen. Sobald jemand von bezahlte in unbezahlte Arbeit wechselt, verringert sich das besteuerbare Einkommen, und um die 340 Mrd. CHF aufzubringen muss somit der verbliebene Rest mit mehr als 70% besteuert werden. Ein Teufelskreis: Die abermals höheren Steuern verleiten zu noch mehr Umgehung, was wiederum höhere Steuern nach sich zieht, und so weiter. All dies würde das Steuersubstrat unweigerlich erheblich schmälern, und leicht könnte das System dabei zusammenbrechen. Leider passiert dies unabhängig davon, ob Personen von Lohnarbeit auf Freiwilligenarbeit, oder rein auf Eigenarbeit umsatteln.
Gewohnheiten und relativer Konsum als Grundproblem des BGE
Ein ernüchterndes Fazit. Aber wie ist es möglich, dass wir uns trotz hoher Arbeitsproduktivität kein vernünftiges BGE leisten können? Die Antwort beruht nicht zuletzt darauf, dass das ‚Vernünftige‘ parallel zu unserem allgemeinen Wohlstand wächst. Beim obigen Grundeinkommensvorschlag sollen mehr als die Hälfte aller Einkommen, inklusive Kapitaleinkommen und nach Abzug der grundlegenden Staatskosten, verteilt werden, um ein einigermassen würdiges Leben zu garantieren. Das bringt uns zum längerfristigen Hauptproblem für das BGE: Ungeachtet unserer Produktivitätsfortschritte braucht eine Person heute doch noch mehr als die Hälfte des Durchschnittsnettoeinkommens, um über die Runden zu kommen! Es gibt wenigstens drei Gründe, weshalb ein für uns annehmliches Leben in absoluten Zahlen so teuer ist: Erstens wachsen unsere Ansprüche schlicht mit den Gewohnheiten. Zweitens hängt unser soziales Wohlbefinden wohl stärker vom relativen Konsumlevel im Vergleich zu unseren Mitmenschen, als von einem absoluten materiellen Konsumniveau ab. Drittens sind wir nicht nur auf maschinell produzierte, materielle Güter angewiesen, sondern auch auf Dienstleistungen, die relativ direkt eine bestimmte Arbeitszeit erfordern (z. B. Zahnarzt, Coiffeur, Cafébesuch). Die Kosten für diese Dienstleistungen steigen aber im Gleichschritt mit den allgemeinen Löhnen.
Damit dürfte die Verteilung eines BGE zur Finanzierung eines als vernünftig geltenden Lebensstils nicht nur heute, sondern auch in absehbarer Zukunft und relativ unabhängig vom Wirtschaftswachstum, einen sehr erheblichen Teil des Nationaleinkommens beanspruchen. Entsprechend stark bleiben die staatlichen Eingriffe, die notwendig sind um diese Mittel erst aufzubringen, und die damit einhergehenden wirtschaftlichen Nebenwirkungen.
Während sich das BGE in der für die Schweiz vorgeschlagenen Ausgestaltung somit kaum finanzieren lässt, könnte die Finanzierung eines BGE auf einem erheblich geringeren Niveau möglich sein. Dieses würde zwar nicht ausreichen um ein angenehmes Leben zu finanzieren, aber dürfte es erleichtern, mit etwas Angespartem eine längere Auszeit zu nehmen, oder das Arbeitspensum zu reduzieren. Je nach Höhe dürften also auch hier erhebliche Auswirkungen auf das Arbeitsangebot unumgänglich sein – und trotz der volkswirtschaftlichen Kosten sind sie ja mitunter Zweck der schweizerischen BGE-Initiative –, aber wenigstens wäre so eine Finanzierung ohne Systemzusammenbruch denkbar.
In einer Umfrage der ETH zur obigen Ausgestaltung gaben mehr als 60% der befragten Personen an, nach Einführung eines BGE ihr Arbeitspensum zu reduzieren.[2] Auch wenn die Umfrage kaum räpresentativ ist, deuten solche Zahlen daraufhin, dass die Einbussen an Steuersubstrat sehr erheblich sein könnten, mit den oben erläuterten Auswirkungen. Freiwilligenarbeit wurde zwar oft genannt als alternative Beschäftigung, allerdings gaben noch mehr Leute an, auf Eigenarbeit umzusatteln. Befürworter proklamieren die Umstellung auf intrinsisch motivierte Freiwilligenarbeit als grosses volkswirtschaftliches Plus. Unabhängig davon, wie viele Leute tatsächlich substanziellen Allgemeindienst leisten würden, bleibt es aber höchst fraglich, inwiefern diese Leistungen den entsprechenden Ausfall von Erwerbstätigkeit gesamtheitlich gesehen auf- oder überwiegen können. So mag Lohn den tatsächlichen gesellschaftlichen Nutzen von Aktivitäten bisweilen nur sehr unperfekt ausdrücken, aber wenigstens liefert die zugrunde liegende Zahlungsbereitschaft einen konkreten Anhaltspunkt für den tatsächlichen Nutzen, den Käufer aus einer Leistung ziehen. Demgegenüber kann der eigentliche Wert von gut gemeinter Freiwilligenarbeit auch leicht überschätzt werden.
Willkürliche Enteignung statt funktionierendes Sozialsystem?
Wäre ein BGE – wenn finanzierbar – gerecht? Relativ unbestritten ist, dass ein vernünftiges Mass an Umverteilung von Reich zu Arm notwendig und gerechtfertigt ist: Erstens zieht ein Armer im Schnitt aus einem zusätzlichen Franken mehr Nutzen als jemand mit sehr hohem Einkommen, und zweitens hängt das Einkommen nicht nur vom persönlichen Arbeitseinsatz ab, sondern mitunter von Zufallsfaktoren, was etwas ausgleichende Gerechtigkeit durch Umverteilung nahelegt. Pragmatischerweise, lässt sich anfügen, leistet Umverteilung auch einen Beitrag zum sozialen Frieden, indem sie hilft, allzu grosse Klassenunterschiede und eine soziale Aufsplittung der Gesellschaft zu vermieden.
All diese Rechtfertigungen fallen beim BGE weitgehend weg. So sind die Hauptnutzniesser des BGE genau diejenigen, die freiwillig nicht mehr arbeiten, weil sie leicht auf mehr Einkommen verzichten. Es kann somit kaum davon ausgegangen werden, dass der zusätzliche Franken genau bei ihnen den höchsten Nutzen bringt. Zum anderen bedeutet diese Freiwilligkeit auch, dass man nicht mehr von einer Willkür-ausgleichenden-Gerechtigkeit sprechen kann: Von der Umverteilung profitieren nun explizit nicht mehr in erster Linie die glücklosen die sich selbst kaum ein Auskommen erwirtschaften können, sondern vor allem auch diejenigen, welche zusätzliche Lohnarbeit nicht so wichtig finden, und damit wohl eher die materiell ohnehin schon bevorteilten. Der Einfluss des BGE auf den sozialen Frieden ist wenigstens zweideutig: Die Reduzierung der Armut könnte theoretisch Klassenunterschiede weiter verringern, aber die Gefahr, dass sich Gruppen bilden, welche sich langfristig auf das BGE verlassen, und sich immer weiter von der arbeitenden Gesellschaft abkoppeln, scheint sehr gross, mit kaum absehbaren sozialen Folgen. Der grosse Finanzierungsbedarf beeinträchtigt die Arbeitseinkommen zudem in einem solchen Ausmass – und wie dargestellt nicht mehr zugunsten von wirklich Bedürftigen –, dass der Solidaritätsgedanke wohl leicht überstrapaziert wird.
Grundeinkommenstheorien stützen oft darauf ab, dass jedem Bürger ein bestimmter Anteil ‚der Welt‘, d. h. in erster Linie ihrer natürlichen Ressourcen, zusteht. Diese Sichtweise steht im Einklang mit pro-Kopf Ressourcenrenten, wie sie insbesondere einige ölreiche Länder wie Norwegen und Alaska ihren Bevölkerungen verteilen. Nun haben die Schweiz und viele andere westliche Staaten keine erheblichen Mengen an käuflichen und knappen natürlichen Ressourcen. Trotz teurem Grund in Städten würden Bodenabgaben nicht reichen, ein BGE zu finanzieren.
Damit begründen weder die traditionellen Motive für soziale Absicherung noch Ressourcenrenten ein BGE für die Schweiz oder Deutschland. Und während eine gewisse Priorisierung des Inlandes bei der sozialen Absicherung unserem heutigen Staatsverständnis entspricht, wirft die grosszügige Unterstützung der bequemen im Inland durch ein BGE angesichts der unverschuldeten Armut von Millionen in Entwicklungsländern durchaus weitere Fragen auf. Sogar der Philosoph Rawls, den man eigentlich als Umverteilungsfetischisten bezeichnen könnte, da seine Theorie den Wohlstand einer Gesellschaft einzig an den allerärmsten misst, hat sich gegen ein BGE ausgesprochen.[3]
[1] Für ausführliche Auslegung findet sich in Habermacher und Kirchgässner (2013), Das Bedingungslose Grundeinkommen – vielleicht wünschenswert aber nicht bezahlbar, Wirtschaftsdienst, 2013, 93. Jahrgang, 2013, Heft 9, S. 583-605.
[2] Wehner, Neufeind, Ketterer, Bossard (2013), Für und Gegen das Bedingungslose Grundeinkommen: eine Frage von Unterschieden in Gerechtigkeitsempfinden und Lebenszielen? ETH & FHNW.
[3] Eine gute Besprechung der Probleme bei der ethischen Rechtfertigung des bedingungslosen Grundeinkommen, und der praktischen Notwendigkeit, den Kreis der Beitragsberechtigten nicht unbeschränkt über die wirklich Bedürftigen hinaus zu erweitern, findet sich in Kirchgässner (2013) Critical Analysis of Some Well-Intended Proposals to Fight Unemployment Analye & Kritik.